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K.I. – der Hype und seine Folgen

Der folgende Artikel stammt in seiner ursprünglichen Form aus der Printausgabe des Mugazins, in dem ich meine ersten Erfahrungen mit bildgenerierender K.I. geschildert habe. Ich habe damals K.I. für die Erstellung einer Konzeptzeichnung genutzt, die ich dann großformatig in Gouache gemalt habe.


Seitdem ist K.I. das Zauberwort der Stunde. K.I. macht alles schneller, billiger und besser. K.I. ist die Zukunft. Leute, kauft mehr K.I.!

Ich hoffe, niemand, den ich kenne, hat in K.I. investiert. Denn wenn sich das für Sie nicht auch nach genau der Sorte Bubble anhört, in der jede Menge Geld von einem Tag auf den anderen einfach verpufft, dann waren Sie 2007 woanders, also gar nicht auf dem Planeten, nehme ich an.

K.I. ist vor allem eines: postkapitalistischer Hype. Es ist kein Werkzeug, es ist ein Service. Und wer sich ernsthaft mit den Möglichkeiten beschäftigt, wird schnell drei Dinge erkennen.

  1. K.I. kann nix

  2. K.I. wird nicht besser, sondern nur disruptiver.

  3. K.I. ist in den Händen von Leuten, denen ich keinen einzigen Cent anvertraute


K.I. steht für Kein Interesse


Ich fange beim letzten Punkt an. Dass hinter den Türen der führenden Firmen Sonderbares vor sich geht, wundert mich nicht. Schließlich verfolgen die Macher im Kern ein totalitäres Ziel (dazu weiter unten mehr). Auch die Kapriolen um den internen Machtkampf flößen kein Vertrauen ein. Dazu kommen die haarsträubend hirnverbrannten Forderungen nach einem Moratorium von Leuten, die K.I. maßgeblich mitfinanziert haben. Der letzte Punkt macht allerdings Sinn, wenn man ihn als Marketing-Stunt versteht, um noch mehr Geld aus dem Markt zu saugen. Die Machine-Learning Datenbanken wurden zudem in einem unregulierten Machtvakuum mit Daten gefüttert, als OpenAI noch als reine non-profit organization galt. Es liegt auf der Hand, dass das in erster Linie geschah, weil für die digitale Sammelwut gemeinnütziger Forschungsprojekte in den U.S.A. viel niedrigere Hürden gelten, als für von wirtschaftlichen Interessen geleitete Unternehmen. Die weitgehend unreguliert gesammelten Daten sind jetzt Grundlage für den großen Reibach. Inzwischen laufen einige Sammelklagen von Urheber*innen gegen dieses Vorgehen, neue stehen ins Haus. Aber auch private und hochsensible Daten wie Krankenakten sind mit dem großen Staubsauger in den Datenbanken gelandet. Inzwischen gibt es Software, die nicht nur das Nutzen von Bildern im Internet verhindert, sondern vielmehr die Zieldatenbanken aktiv ruiniert. K.I. - klingt alles nach einer guten Geldanlage, oder...?


Zum zweiten Punkt. K.I. wird nicht besser. Zunächst einmal: es handelt sich nicht um K.I., sondern um ML, also Machine Learning. Dass für die strunzdumme Maschinerie der Chatbots das Wort K.I. gekapert wurde, ist ein Geniestreich der jeweiligen Marketingabteilungen. Es gibt tatsächlich Forschung zu künstlicher Intelligenz, die mit Grundlagen zu Fragen nach Neugier und Lernmethoden ansetzt. Dabei wird versucht, Roboter zum Erkunden ihrer Umgebung anzuregen.

Roboter in Labyrinthen.

Klingt nicht so sexy. Ist aber der Stand der tatsächlichen heutigen K.I.

Machine Learning wird uns künftig immer besser vorgaukeln, dass sie weiß, worum es geht – sie bleibt im Kern aber immer nur ein bisschen Mustererkennung und Vorhersage-Firlefanz. Es wird dennoch reichen, um Millionen Menschen um ihren Lebensunterhalt zu bringen, vor allem, weil Unternehmensführungen von haarsträubender Kurzsichtigkeit geprägt sind und die hinlänglich bekannte postkapitalistische Marktzerstörung plus anschließender Zugangsverknappung immer noch vollkommen unreguliert vonstatten gehen darf.


Am Ende stehen wir mit leeren Händen da. Denn K.I. kann nix. Neben Berichten von Art Directors, die an Promptern verzweifeln , gibt es solche Geschichten auch aus dem Bereich des Copywriting. Wie beispielsweise das Projektbüro, das dem Promogekreisch von Prompting-Agenturen auf den Leim ging, in dem versprochen wurde, hunderte von Kurztexten raushauen zu können. Damit wollte man die Arbeit routinierter Autor*innen ersetzen. Mitten im Projekt musste die Reißleine gezogen werden, da die K.I. keine Styleguides beachtete, die Länge nicht einhielt und generell so schlechte Qualität lieferte, dass die verbliebenen Autor*innen nur mit Aufpolieren beschäftigt waren. Da hatte man aber schon jahrelang gewachsene Beziehungen zerstört.


Ich schaue also der Turboausbeutung durch K.I.-Firmen mit wachsender Verwunderung zu. Und jetzt zurück zu meinen ersten Eindrücken aus dem Jahr 2022.


(das Folgende stammt aus dem Mugazin 2023)


Für die Ausstellung „Die Welt in unserer Hand“ im November 2022 male ich zwei Bilder. Ausstellungsraum ist eine Kirche, also ist mein erster Gedanke: Was die Kirche braucht, ist eine Vulva im Gotteshaus. Die Menschen der Bewegung „Maria 2.0“ hatten denselben Gedanken, als sie Maria auf einem Transparent in einer Illustration zeigen, auf der ihr Gewand an Vulvalippen erinnert. Kunstgeschichtlich betrachtet, passiert dasselbe in der Ikonographie durch die Form der „Mandorla“, ein Oval, das Heiligenfiguren umgibt.

Für die Konzeption wende ich mich online an eine bildgenerierende K.I. (‚künstliche Intelligenz‘) namens Midjourney. Die Idee ist simpel. Man erklärt der K.I. in (englischer) Textform, was man sehen will. Die K.I. antwortet visuell. Man kann aus mehreren Vorschlägen auswählen, welche Antwort am ehesten dem entspricht, was man meinte. Auf dieser Grundlage macht die K.I. weitere Vorschläge. Es ist ein vollkommen faszinierender Vorgang, der sich in Teilen nach echter Kommunikation anfühlt. Außerdem sind die Bildvorschläge in Teilen berückend schön, manchmal etwas skurril, stets anregend.


Algorithmus im Trainingsanzug





Was geht da eigentlich vor sich? Der Automat erstellt nicht etwa Collagen aus existierenden Bildschnipseln. Der intelligente Teil der Plattform wurde mit Millionen und Abermillionen von Bildern gefüttert oder „trainiert“. Bilder, die mit Begriffen assoziiert sind. Die Assoziation besteht schon längst - sie ist der Grund, warum Bildsuchmaschinen Bilder von Pferden finden, wenn ich „Pferd“ in der Suchmaske eingebe. Tatsächlich sind die Algorithmen der Suchmaschinen so gut, dass auch eine Suche wie „brauner Mustang im Galopp“ sinnvolle Ergebnisse bringt. Aber all diese Ergebnisse existierten als im Internet verfügbare Bilder schon vor meiner Suche, egal ob es nun Fotos oder Illustrationen sind. Bei bildgenerierender K.I. entstehen die Bilder aber tatsächlich Bildpunkt für Bildpunkt erst bei der Aufforderung durch die Texteingabe („Prompt“). Und zwar, weil das Programm gelernt hat, was ich meinen könnte, wenn ich schreibe „brauner Mustang im Galopp“. Und hier überflügelt die K.I. jede

Suchmaschine, denn sie versteht auch Textungetüme wie „irisierende Aura um eine mechanische Libelle im Landeanflug auf einen halluzinogenen Pilz, geringe Schärfentiefe, fotorealistisch, blau und rosa, Volumenstreuung, 16:9, cineastisch“. Selbst abstrakte Anweisungen wie „Wetterumschwung in der Seele, nass, Reue“ bringen den Automaten nicht ins Stolpern. Ich weiß selbst nicht, wie so etwas aussehen soll. Die K.I. kann aber nicht NICHT antworten. Sie liefert. Ich wähle aus. Nach drei Runden der Verfeinerung stehe ich vor einem Bild, das soeben erst entstanden ist. Es ist berückend, rätselhaft, detailliert.


Aber wer hat es geschaffen?

Knifflig.


Ist bei rätselhaften oder cineastischen Prompts die Frage nach der Urheberschaft noch eher philosophischer Natur, wird 2022 schnell klar, dass es im Kern schon längst um den Lebensunterhalt von Künstler*innen geht. Millionen von Menschen nutzen im Dezember 2022 Midjourney. Viele ihrer Prompts enthalten den harmlos klingenden Zusatz „in the style of“. Und es sind nicht verstorbene Lichtgestalten wie Picasso oder Rembrandt, deren Namen hier am meisten fallen. Es sind lebende Künstler*innen wie Greg Rutkowski, erfolgreicher Illustrator und Maler, dessen immersiver Fantasy-Stil es den K.I.-Nutzern ganz besonders angetan hat. Abertausende von Bildern im täuschend echt getroffenen Stile Rutkowskis überschwemmen soziale Netzwerke. Der Künstler gibt Interviews. Rutkowski ist alles andere als begeistert. Zu keinem Zeitpunkt wurde er gefragt, ob die K.I. anhand seiner Bilder darin trainiert werden darf, seinen Stil zu kopieren.


Im Ursprung werden K.I.-Modelle oft von Stiftungen und Privatunternehmen finanziert und unterliegen einer recht laxen Gesetzgebung in den USA, solange sie als reine Forschungsprojekte deklariert sind. Simpel gesagt darf man zu Forschungszwecken mehr als aus Profitgier. Im Anschluss jedoch verwerten nachgegründete, rein kommerzielle Unternehmen diese Forschungsergebnisse. In den antrainierten Modellen finden sich dann als Bildgrundlage daher nicht nur Portfolios von Künstler*innen, sondern auch Ungeheuerlichkeiten wie Patientenakten und anderes hochsensitives Material. Inzwischen gibt es bereits eine Website, die es ermöglichen soll, herauszufinden, ob eigene Bilder für das K.I.-Training benutzt wurden (haveibeentrained.com). Der legale Status der Datenmodelle ist unklar.

K.I., zur Sonne, zur Freiheit ...


Ungeachtet des Ausgangs dieses Streits: Was hat das alles mit uns zu tun? Wenn ich beispielsweise nicht male und nicht vorhabe, Bilder von K.I. gestalten zu lassen?

Bildgenerierende K.I. ist nur ein kleiner Teil der technologischen Revolution, die uns bevorsteht. Allgemeiner gefasste Plattformen wie ChatGPT ermöglichen bereits Problemlösungen umfassenderer Art von automatisierten Übersetzungen und Kommunikationshilfen bis hin zur Programmierung von Plugins und Apps. Die großen Software- und Technikkonzerne konkurrieren mit jeweils eigenen Artificial-Intelligence-Modellen. Dabei spielt der Begriff der AGI eine wichtige Rolle. Was ist AGI? Dies ist ein Akronym für 'Artificial General Intelligence' und besagt nicht weniger, als dass die K.I. künftig in der Lage sein soll, jegliches menschliches Unterfangen zu erledigen. Dass K.I. bereits jetzt den Markt für Illustrationen und kurzfristig den für Anwendungsentwicklung oder Medienproduktion vollkommen umkrempelt, ist sozusagen nur ein Abfallprodukt auf dem Weg zur AGI. Stan Prokopenko, der mit Zeichenlehrvideos auf YouTube bekannt wurde, hat dies zu seiner anhaltenden Bestürzung in einem Interview erfahren, das er in seinem Kanal mit Evan J. Conrad führte. Conrad leitet eine privat finanzierte Stiftung, die K.I.-Start-ups fördert (aigrant.org). In atemberaubender Sprechgeschwindigkeit machte er dem sympathischen Kunstlehrer und über 85.000 Zuschauer*innen (Stand Januar 2023) klar, dass der Kunstmarkt nur ein Kollateralschaden auf dem Weg zur totalen Utopie mit AGI sei. Ziel der AGI sei es, den Wert jeglicher menschlichen Tätigkeit in der Wertschöpfungskette auf null zu senken. Ist das geschafft, kann die Menschheit sich tieferen Aufgaben zuwenden (oder höheren, jedenfalls anderen). Als der bestürzte YouTuber nachfragt, ob sich Künstler*innen denn mittelfristig mit analog erstellter Kunst werden über Wasser halten können, gibt Conrad zu bedenken, dass die Fortschritte in Feinmotorik bei Robotern auf Dauer auch diesen Vorsprung auffressen werden.

Es handelt sich hier nicht etwa um geheimes Hintergrundwissen. Tatsächlich führen CEOs wie Sam Altman (OpenAI) den Begriff und die Zielsetzung AGI ganz offen im Munde. Und doch hat kaum jemand die Tragweite dieser Idee richtig verstanden. Prozesse um Copyright und Datenschutz sind noch die geringsten Probleme, die K.I. in den kommenden Jahren verursachen wird. „Move fast and break things“ lautet das Motto nicht nur für Start-ups im Silicon Valley. Investoren interessieren sich eben nicht für Technologien und Ideen, die lediglich einen großen Marktanteil erobern können. Sie wollen in Dinge investieren, die einen herkömmlichen Markt zerstören können. Darin steckt das meiste Geld. „Is it disruptive?“ - Wer hier nicht bejaht und darlegen kann, warum, ist direkt aus dem Spiel. Mit dieser Haltung, traumhaft durchfinanziert und auf dem Weg zu einer allumfassenden, allem übergeordneten und daher im wirklichen Wortsinn totalitären Utopie - was soll da schon schiefgehen?


Quo Vadis, Prozessor?

Gouache-Gemälde von Murat Kayı
„Mandorla" – Gouache auf Leinwand, Konzeption mit K.I und digitaler Collage, © Murat Kayı

K.I. entwickelt sich schnell. Die Schätzungen, wann K.I. die Grenze zur AGI überschreitet, sind hoch spekulativ und reichen von ‚Donnerstag in vier Wochen!‘ bis ‚in 100 Jahren‘. Gesetzgebungsverfahren sind träge. Sie basieren auf der Vorstellung, dass alle gesellschaftlich relevanten Akteur*innen sich einbringen sollen, Interessen gegeneinander abgewogen werden und man dann einen Kompromiss findet, mit dem alle unglücklich sind, so dass alle ihn akzeptieren können. In dem Tempo wird man den K.I.-Unternehmen nur hilflos hinterhersehen können, wie sie im Streben nach dem absoluten Menschenglück auf Erden alles auf ihren Weg beiseite räumen. Der Diskurs über K.I. in allen Bereichen unseres Alltags hat soeben erst begonnen. Umso wichtiger ist es, die Absichten der Hauptakteure zu verstehen und sie zu einem verantwortlichen Umgang zu zwingen - mit eben jenen Menschen in der Gegenwart, deren endgültige Befreiung in der Zukunft ihnen ja am Herzen zu liegen scheint.



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